Oft wird erst beim Wechsel in eine weiterführende Schule bemerkt, wenn ungeübte Schriftsprachleistungen und Aufsätze gefordert werden: Legasthenie oder genetisch bedingte Lese-Rechtschreib-Störung! Doch wie erkennen Sie den Unterschied zwischen Schwäche und Störung? Wir zeigen, was Sie als betroffene Eltern tun können.
Eine korrekte Beherrschung der Schriftsprache gilt in der heutigen Gesellschaft als ein Indiz für Bildung und Intelligenz. Das ist vermutlich der Grund dafür, weshalb Kindern und Jugendlichen mit Legasthenie lange Zeit eine höhere Schulbildung versagt blieb und sie als dumm oder faul abgestempelt wurden. Dank ausführlicher Forschungen und Studien gehören diese Zeiten der Vergangenheit an. Mediziner und Genetiker unterscheiden zwischen Legasthenie, also einer Lese-Rechtschreib-Störung einerseits, und Lese-Rechtschreib-Schwäche andererseits. Eine Schwäche kann viele Ursachen haben. Eine Legasthenie hingegen ist genetisch bedingt und klar definiert.
So kommen Sie der Lese- und Rechtschreib-Störung auf die Spur
Erkennbares Merkmal einer Lese- und Rechtschreibstörung ist eine deutliche Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten und, sehr häufig damit verbunden, der Rechtschreibung. In der späteren Kindheit und im Erwachsenenalter ist die Lesefähigkeit meist verbessert, die Rechtschreibproblematik hingegen das größere Defizit.
Charakteristika, die auf Legasthenie hindeuten können:
- auffallend langsame Lesegeschwindigkeit und häufiges Stocken
- Auslassen, Vertauschen oder Hinzufügen von Wörtern, Silben oder einzelnen Buchstaben
- unzureichende inhaltliche Wiedergabe des gelesenen Textes
- hohe Fehlerzahl bei ungeübten Diktaten, aber auch abgeschriebenen Texten
- teils fragmentarisch geschriebene Wörter, sogenannte Wortruinen
- Wörter in demselben Text mehrfach unterschiedlich falsch geschrieben
- auffallend viele Grammatik- und Interpunktionsfehler
Doch nicht nur bei schulischen Problemen sollten Sie hellhörig werden, auch andere Auffälligkeiten können ein Indiz sein: Schlafstörungen, Bettnässen, Angst vor Klassenarbeiten oder prinzipielle Schulangst. Selbst Kopf- oder Bauchschmerzen können von einer Lese- und Rechtschreib-Störung verursacht werden. Dringend Hilfe braucht Ihr Kind, wenn es unter aggressivem Verhalten, Störungen im Sozialverhalten oder gar Depressionen leidet.
Die Folgen für den weiteren schulischen Werdegang
Schwierigkeiten beim Lesen können eine eingeschränkte Wissensaufnahme in den übrigen Lernfächern verursachen. Beispielsweise kann das Wissen im vorgegebenen Zeitrahmen nicht aufgenommen bzw. geschrieben werden. Legasthenie führt somit schnell dazu, dass die gesamte schulische Leistung erheblich beeinträchtigt wird.
Selbst wenn sich Eltern und Kind sehr bemühen, durch häufiges Üben die Leistung zu verbessern, macht der Schüler nur geringe, teilweise sogar keine Fortschritte. Oft wird zu Unrecht schuldhaftes Versagen vermutet.
Diagnose immer vom Arzt oder Psychologen stellen lassen
Die Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Störung stellen Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder Diplom-Psychologen. Wichtig sind dabei der Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit mit Schule und Eltern. Lese- und Rechtschreibtests werden teilweise auch in den Schulen durchgeführt, größtenteils aber in speziellen Beratungsstellen oder bei schulpsychologischen Diensten.
Das richtige Therapieangebot erkennen
An deutschen Schulen fehlt es oft an Mitteln und Kompetenzen, um Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Störung angemessen zu fördern. Meist bemühen sich viele Eltern deshalb um private Hilfe. Sicherlich gibt es viele wirksame Methoden, betroffenen Kindern bei ihrer Problematik zu helfen. Und ebenso sicher gibt es nicht den einen goldenen Weg, der in jedem Fall hilft. Doch Methoden, die Verbesserung innerhalb weniger Wochen und Monate versprechen, können nicht seriös sein! Von Therapien, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt ist, ist abzuraten. Zu empfehlen sind Programme, die sich an den Entwicklungsstufen des Schriftspracherwerbs orientieren und längerfristig begleitend arbeiten.
Auch finanzielle Unterstützung ist möglich. Diese hängt allerdings von Ihrem Wohnort ab, da jedes Bundesland selbst bestimmt, wie viel Förderung ein Legastheniker erhält.
Abitur und Wunschberuf – ein geplatzter Traum?
Aktuelle Studien zeigen, wie positiv sich eine Förderung auswirkt. Über 40 Prozent der Legastheniker, die sich einer Behandlung an der Berliner Humboldt-Universität mit dem lautanalytischen Rechtschreibsystem (LARS) unterzogen, erreichten die Hochschulreife. Und rund 90 Prozent der Befragten konnten sogar ihren Wunschberuf ausüben und erlernen. Es ist also durchaus möglich, die Symptome zu mildern und die Legasthenie so in das Leben zu integrieren, dass man gute Chancen auf einen schulischen und beruflichen Erfolg hat.
Bernadette Egger
Expertin für verschiedenste Lern- und Schulthemen, berät seit sechs Jahren Eltern und Erzieher.